VORGEPLÄNKEL
Der Türsteher
sieht mir prüfend ins Gesicht. Ich hatte mir schon gedacht, dass es
nicht ganz einfach sein würde, zusammen mit meinen Freunden das
Jobcenter zu betreten.
Ich höre ein
erbostes Schnauben und sehe, wie neben mir Ginnys Dreadlocks langsam
anfangen, nervös auf und nieder zu zucken, als ihre Taschen
abgeklopft werden. Ein schlechtes Zeichen. Ich hoffe, dass sie sich
beherrschen kann.
Der Yogi Savinda
ist hingegen wie immer die Ruhe selbst. Er lächelt dem Uniformierten
milde zu, als dieser skeptisch dessen flatternde orange Hose beäugt.
Mit einer würdevollen runden Bewegung breitet er unaufgefordert die
Arme für die Security-Kontrolle aus. Dabei wirkt er eher so, als
würde er auf das offene Meer schauen, anstatt auf den tristen
Betonbau vor ihm.
„Ich sagte
doch schon, wir haben keinen Termin und wir wollen übrigens auch
niemanden überfallen! Was soll diese ganze Kontrolle? Jetzt glauben
Sie uns doch einfach, dass wir hier nur einen Bekannten abholen
wollen.“, jault Ginny empört auf. „Ihr Kollege, er arbeitet hier
und hat heute Geburtstag. Manfred oder Jürgen, ach nein... Herbert
heißt er. Was denken Sie denn, was ich sonst in Ihrem
Hochsicherheitstrakt verloren hätte?“
Während der
Türsteher Ginny beiseite führt um ihren Jutebeutel auszuleeren
kommt Oscar in seinem Nadelstreifenanzug herbeigelaufen. Er hatte sich auf
dem Weg ein wenig zurückfallen lassen, da seine neue Börsen App ihm
Probleme zu bereiten schien. Ohne von seinem Smartphone aufzublicken
schlendert er am zweiten Security-Beamten vorbei, der bescheiden
einen Schritt zurücktritt.
Ich nutze die
Gelegenheit um mich blitzschnell anzuschließen und auch Savinda
schreitet nun wie zufällig Richtung Eingang. Perplex schaut uns der
Uniformierte hinterher und zückt schließlich sein Funkgerät. Im
Hintergrund höre ich Ginny zetern.
Wir finden uns
beim Aussteigen aus dem Fahrstuhl im dritten Stock einer großen
Gruppe von Menschen, diversen Büro-Schaltern und Absperrbändern
gegenüber.
Sieht irgendwie
aus wie am Flughafen. Nur ist in den Gesichtern keine Vorfreude auf
die karibischen Inseln zu lesen. Hände umklammern Formulare,
gesenkte Köpfe blicken auf den grauen Laminatboden oder mehr oder
weniger teilnahmslos zu der Anzeigetafel mit den Wartenummern. Einige
laufen auch unruhig im Kreis auf und ab oder versuchen ihre kleinen
Kinder zu beruhigen.
Statt an bunten Flugzeugpiktogrammen läuft man in der Warteschlange alle paar Meter an einem rot umrandeten Schild vorbei, das eine unmissverständliche Aufforderung von sich gibt.
„Bitte
ordnungsgemäß anstellen und Anträge bereithalten!“
„Bitte
Beachten: Sonderanträge nicht formlos gültig!“
„Bitte
beachten! Wenn aufgrund von Mittellosigkeit Barauszahlung
erforderlich ist, bitte die Kontoauszüge der letzten 4
Wochen bis heute lückenlos vorlegen.“
Während ich noch etwas ratlos in der Gegend herumschaue,
unterbreitet uns Oscar seinen Plan, wer bei der Suche welchen Bereich
abdecken soll, um Ginnys Freund Herbert schnellstmöglich und
effektiv zu finden, obwohl ihn noch niemand von uns kennt.
Davon unbeeindruckt wandelt Savinda mit einem seichten Lächeln auf
den Lippen geradeaus davon, durchstreift die unruhige Menge und
überschreitet elegant sämtliche Absperrungen, bis er schließlich
in einem Gang verschwindet. „Wo geht er denn jetzt hin?“, erkundige ich mich bei Oscar. Der
zuckt ärgerlich die Schultern. „Frag ihn bloß nicht, sonst sagt er
nur: Der Weg ist das Ziel, oder irgend sowas.“
Ich nehme mir an Beispiel an Savinda und laufe wahllos einen der
Gänge hinunter. An den Türen stehen die Namen verschiedener
Mitarbeiter. Ob deren Büros wohl ein bisschen gemütlicher sind? Bei
einem er Büros steht die Tür offen. An der Tür steht der Name
'Herbert Müller'. Ich linse hinein.
JEDER KRIEGT, WAS ER VERDIENT?
Der Mann mit den
schlaffen Schultern und dem schütteren grauen Haar scheint irgendwie
durch mich hindurch zu schauen, als monoton er erklärt: „Ich bin
Ihr neuer persönlicher Ansprechpartner in Sachen
Arbeitsvermittlung.“ In resigniertem Tonfall fügt er leise hinzu:
„Ihr Fall wurde natürlich wieder mal zu mir verschoben“.
„Sie haben
Ihre letzten drei Termine versäumt.“
„Tatsächlich?“
„Sie wissen,
dass es Ihre Pflicht ist, sich regelmäßig bei uns zu melden.“
„Achso...“
„Wissen Sie,
wir sind hier keine Bank. Ich muss hier auch regelmäßig erscheinen
und etwas für mein Geld tun. Das müssen Sie deshalb auch, verstehen
wir uns?“
Ich überlege
kurz, ob ich Herrn Müller darüber aufklären soll, dass ich heute
zum ersten mal im Jobcenter bin, entscheide
mich dann aber dagegen. Er sieht sowieso schon so angestrengt aus,
dass ich ihm die Verwirrung lieber erspare.
„Natürlich
halte ich Sie nicht für eine Bank.“, antworte ich beschwichtigend.
„Wieso
erscheinen Sie dann nicht zu Ihren Terminen? Finden Sie das gerecht,
dass ich hier von morgens bis abends Kunden empfange, Anträge über
Anträge auswerte und Sie ihr Geld hinterher geworfen bekommen? Man
kann nicht immer nur haben, haben, haben. Man muss dafür auch etwas
tun. Keine Leistung ohne Gegenleistung.“
„Tun
Sie alles erdenkliche um einen Arbeitsplatz zu finden!“
„Und
wenn es keinen Arbeitsplatz für mich gibt?“
„Dann
erscheinen Sie trotzdem zu ihren Beratungsterminen, füllen Sie
anständig und pünktlich Ihre Anträge aus, bewerben Sie sich
überall, wo es geht, und schauen Sie nicht so viel Fernsehen.“
Herr
Müller wird langsam munterer.
„Aber
wieso ist das dann gerechter, das hilft Ihnen doch auch nicht weiter,
oder?"
Es entsteht eine irritierte Pause. Herr Müller schaut von seinem Bildschirm auf und scheint mich das erste Mal wirklich anzuschauen. Nachdrücklich erklärt er: "Jeder muss einer Erwerbsarbeit nachgehen. Man muss sich seinen Lohn verdienen."
Er wirft mir einen misstrauischen Blick zu: "Aber Sie sind nicht hier, um mit mir über Gerechtigkeit zu reden, Sie wollen nur Ihr Geld und dann wieder verschwinden, oder?“
"Naja, eigentlich bin ich nur hier um jemanden zu suchen...Trotzdem interessiert mich auch, wie Sie eigentlich Ihre eigene Arbeit finden."
Verwundert über die Gegenfrage kratzt sich Herr Müller nachdenklich am Kopf und setzt schließlich einen wehmütigen
Blick auf.
„Früher hätte ich nie mit einem Kunden über mich geredet. Wissen Sie,
früher hat mir dieser Beruf auch wirklich noch Spaß gemacht. Ist ja
auch eine verantwortungsvolle Aufgabe. Schließlich gilt es, genau
einzuschätzen, wer welche Chancen auf einen Arbeitsplatz hat und wem
wieviel zusteht.“
Seine blauen
Augen leuchten plötzlich unter dem grauen Haarschopf hervor.
„Wer motiviert
und talentiert ist und wer faul. Und ich habe gegeben was ich konnte.
Mit guten Resultaten. Zuckerbrot und Peitsche, wissen Sie. Und meine
Kunden haben mir zugehört und waren dankbar. Aber ehrlich gesagt,
irgendwie hat sich das alles geändert, hier ist kaum noch jemand
richtig motiviert, wie denn auch? Außerdem bin ich zu alt für
sowas. Man altert hier schneller als anderswo.“
„Jeder bekommt, was er verdient. Das ist mein Grundsatz und das wird es auch bleiben. Aber wissen Sie eigentlich, wie schwer das manchmal festzustellen ist, was jemand verdient?“
Er seufzt
gequält und hebt einen riesigen Papierstapel hoch, den er
geräuschvoll wieder auf den Tisch fallen lässt.
„Nehmen wir
mal Ihr Beispiel. Sie gehören jetzt zum Teil der 80%
nicht-wiedereingliederungsfähigen Kunden. Was soll ich denn mit
Ihnen anfangen?“
Ich zucke
schuldbewusst die Achseln und bemühe mich, ihm einen aufmunternden
Blick zuzuwerfen.
Er blickt kurz
irritiert hoch: „Aber da schreiben Sie jetzt keine Zeitungs-Columne
drüber, oder? Hatte ich neulich auch schonmal... Das dürfen Sie
nämlich eigentlich nicht sehen, aber gut, also hier ist ihr Profil.“
Er dreht den
Computer-Bildschirm zu mir.
„Schauen Sie,
hier in Ihrem Persönlichkeitsprofil steht schon eine Menge, das soll
ich heute überarbeiten. Also, Sie sind 'eher reizbar', 'schwer zu
motivieren' und 'erscheinen regelmäßig zu spät zu Ihrem
Beratungstermin'.“
Er wirft mir
einen prüfenden Blick über den Rand des Bildschirms zu.
„ Außerdem
besuchen Sie Ihre Wiedereingliederungsmaßnahme nur sehr
unregelmäßig, steht hier.“
„Na
selbstverständlich. Aus der Arbeitswelt und damiteigentlich gewissermaßen
auch aus der Gesellschaft. Aber, keine Angst“, fährt er in
beruhigendem Ton fort, als er meinen erschrockenen Blick sieht,
„dafür gibt es ja die 'Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen
Eingliederung'. Sie sind dazu da, Sie wieder an feste Strukturen zu
gewöhnen. Damit Sie wieder lernen morgens früh aufzustehen. Feste
Alltagsstrukturen sind das A und O. Das erleichtert Ihnen später den
Einstieg in die Arbeitswelt.
Obwohl...bei
Ihnen sieht das ein bisschen anders aus. Sehen Sie? Sie sind hier
schon als 'arbeitsunwillig' eingestuft. Also Sie sind wirklich schon
ziemlich weit unten in der Langzeitarbeitslosigkeit gelandet...“
Er wirft mir
einen väterlichen Blick zu, der mich wahrscheinlich aufmuntern soll.
„Bei Ihnen dient die Maßnahme eigentlich nur zur Strukturierung
Ihres Alltags, das bewahrt Sie z.B. vor Depressionen und naja, die
Quoten und Statistiken sind auch nicht ganz unwichtig, wir haben schließlich unsere
Auflagen.“
„Was ist denn
das für eine 'Maßnahme'?“ erkundige ich mich vorsichtig.
„'Drogenprävention'“
„Nehme ich
Drogen? Nur weil ich keinen Job habe?“, frage ich erschrocken.
„Nein, nein.
Ich sage meinen Kunden doch immer wieder, dass wir ihnen damit nichts
unterstellen wollen. Es soll nur eine Unterstützung für den Fall
der Fälle darstellen. Jetzt sein Sie doch nicht so gekränkt, Sie
gehen ja sowieso nie hin!"
"Außerdem wollte ich auf etwas ganz anderes hinaus.“
"Außerdem wollte ich auf etwas ganz anderes hinaus.“
Sein Blick
wandert wieder müde zum Papierstapel.
„ Es ist jetzt
endlich mühsam errechnet, was Ihnen zusteht. Sie wissen gar nicht,
wieviel Arbeit hier drinsteckt. Aber Sie haben ja sowieso keine
Vorstellung von Arbeit, darum sitzen Sie ja hier...
Man kann Ihnen
aber zu Gute halten, dass Sie nicht ständig Sonderanträge stellen,
die der Prüfung bedürfen. So etwas wie das Mittagessen für
Schulkinder. Aber Sie haben ja zum Glück keine Kinder.“
„Trotzdem. Bei
Ihrem Profil kann ich mir gut vorstellen, dass bald ein Prüfdienst
zu Ihnen geschickt wird. Das müsste ich eigentlich mal
veranlassen... Die kommen dann unangemeldet in Ihre Wohnung und
schauen Ihre elektronischen Geräte an, messen ihre Quadratmeter
nach... Falls Sie einfach nur ein Schmarotzer des Sozialstaats sein
sollten. Und dann haben Sie natürlich 10 Quadratmeter mehr als
angegeben in Ihrem Wohnzimmer. Und schon geht die ganze Rechnerei
wieder los... Wissen Sie, ich saß mal in der 'Leistungsvergabe',
also unserer Rechnungsstelle, das war auch nicht ganz leicht, wenn
vielleicht auch angenehmer als mit den 80%
Nicht-Wiedereingliederungsfähigen...“
„Und es ist
nicht nur, dass das höllisch viel Arbeit macht, allen Leuten ständig
hinterherzukontrollieren. Wenigstens bringt das unsere Mitarbeiter
in Lohn und Brot. Nur manchmal ist es einfach zu frustrierend.
Neulich, als alles mühsam errechnet war, habe ich einen Kunden zum
psychologischen Dienst geschickt, damit dort für mein Profil einmal
in Ruhe festgestellt werden kann, ob er überhaupt arbeitswillig ist. Da geht es darum, das wahre Gesicht des Kunden kennenzulernen.
Und was macht
dieser sogenannte Dienst? Anstatt mir einfach zu bestätigen, dass
der Kunde arbeitsunwillig ist, steht da etwas von psychischen
Blockaden und Traumata. Was soll ich denn damit anfangen? Ich kann
doch jetzt nicht anfangen miteinzukalkulieren, ob jemand in seiner
frühen Kindheit nicht von seiner Mutti geliebt wurde, das ist doch
hoffnungslos... Außerdem stand da, ich würde zu viel Druck auf ihn
ausüben und seine Persönlichkeit nicht respektieren. Die Leute sind
doch alle verrückt geworden. Ich will doch nur das Beste für ihn,
nämlich ihm einen Arbeitsplatz verschaffen und ihm beibringen, dass
man etwas für sein Geld tun muss...“
Ich nicke
verständnisvoll. „Vielleicht funktioniert das mit dem Einkategorisieren und dem Verdienstprinzip
in der Praxis einfach nicht ganz so gut.“
„Vielleicht...“
„Und fühlen sich nicht manche Kunden etwas gekränkt, wenn sie immer nur danach bewertet werden, ob sie einer
anerkannten Erwerbsarbeit nachgehen und ihnen automatisch unterstellt
wird, dass sie faul sind? Zumal es ja auch einfach aus strukturellen
Gründen nicht genug Arbeitsplätze gibt."
Herr Müller
zieht grimmig die Augenbrauen zusammen.
Ich wechsle
schnell das Thema:
„Das kostet
doch auch alles ganzschön viel, festzustellen, wer was verdient,
oder?“
„Unsummen und
am Ende bleibt es trotzdem immer vage.“
„Ich habe mal
gehört, dass man von dem Geld, das man in der Arbeitsverwaltung
einsparen könnte, sogar ein Grundeinkommen finanzieren könnte.“
„Ein
Einkommen, das man sich nicht verdient?“
„Naja, man
verdient es sich nicht durch Erwerbsarbeit. Es reicht sozusagen aus,
dass man ein Mensch ist. Es würde auch nur das abdecken, was man zum
grundlegenden Lebenserhalt braucht und dafür müsste man auch nicht
kontrolliert und kategorisiert werden."
„Das geht
nicht. Vielleicht finanziell. Aber moralisch? Jeder soll nur
bekommen, was er verdient.“
Der Bandwurm
AntwortenLöschenwollte zur Polizei. Nichts zu machen. Es ist bekannt, dass ausser der Nationalität eine gewisse Mindest- und Höchstkörpergrösse vorgeschrieben ist. Der Bandwurm war einfach zu lang. Auch seine Motivation konnte ihn nicht verkürzen.
So wurde der Bandwurm Arbeitsamtsbeamter, was auch eine gewisse Überwachungs- und Ausfragetätigkeit beinhaltet. Schliesslich muss der Arbeitsamtsbeamte auch herausfinden, ob sich der Arbeitssuchende tatsächlich auf Arbeitssuche befindet. Die offizielle Hauptaufgabe des AA-Beamten ist es aber, den Arbeitssuchenden der Arbeit zuzuführen.
Der Bandwurm hatte sich daher vorgenommen, nach jeder erfolgreichen Vermittlung eins seiner Endstücken zu verlieren, sich so zu verkürzen und irgendwann einmal doch in den Polizeidienst aufgenommen zu werden.
Nun ist in jedem Gesundheitsbuch nachzulesen, dass dem Bandwurm, ganzgleich in wessen Dienst er gerade steht, hinter seinem Saugkopf immer ein Stück nachwächst, wenn er unten eins verliert, und dass dieser Vorgang nur durch aggressive medizinische Tinkturen aufzuhalten ist, die seine schmarotzenden Saugnäpfe ausser Kraft setzen und ihn in voller Länge im Toilettenbecken verschwinden lassen, ohne ihm die Gelegenheit zu geben, sich mit seinem stinkendem Lebenslauf bei irgendeiner Behörde vorstellen zu können.
(aus Schnater : Die Sackratte, 25 längst überfällige Richtigstellungen)
https://vimeo.com/55224501
Oh ja, wir mögen Bandwürmer auch sehr gerne.
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