'Was soll ich tun? "Everything goes", heißt es in der Postmoderne.
Wir leben in einer "Multioptionsgesellschaft", sagt der Intellektuelle. Unsere neue Bürde des
Seins. Ein Luxusproblem? Wahrscheinlich. Kreativ sein muss man auf jeden
Fall. Sich selbst erfinden. "Werde, was du bist.", das fand schließlich
schon Nietzsche. Und was bin ich? Muss ich dafür erst auf den
Grund des Seins dringen? "Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug
als wie zuvor.", findet Faust. Warum fallen mir eigentlich die ganze
Zeit so blöde Zitate ein? Bin ich das, was die anderen von mir denken?
Oder das, was ich selbst von mir denke? Vielleicht sollte ich mal
schnell ein Bild von mir auf Facebook posten um meine Identität
festzuhalten. Oder gar einen Blog-Text. Klingt irgendwie oberflächlich.
Heutzutage gilt der Imperativ der Offenheit. Es gibt immer
jemanden, der die Welt fundamental anders versteht. Es gibt immer einen
anderen Ort, an dem man gerade sein könnte. Es gibt immer andere Dinge,
die man tun könnte.
Ich kann mich auch einfach entscheiden und mich
in eine feste Struktur begeben, anstatt jedes Mal alles zu
hinterfragen. Wäre weniger anstrengend, oder? Mein Leben durchplanen bis
zum Ende und über das Ende am besten nicht so genau nachdenken.
Angebote gibt es ja genug. Und alle wissen, wies geht. Was man darf und
was man nicht darf. Was man unbedingt tun sollte und was man lassen
sollte. Wohin man zu streben hat und was man zu vermeiden hat. Da muss
ich doch nur Milton Friedman oder auch Rudolf Steiner lesen. Dann gehe
ich in meine sichere Wohnung und mache die Tür zu, nicht das noch ein
Schwall von den anderen absoluten Wahrheiten hereinsickert.
Unbefriedigend? Aber besser, als depressiv werden, oder? Oder einfach:
Ich bin durchaus privilegiert. Ich kann nämlich fast alles tun. Der
Steuerzahler und meine Herkunft aus der bildungsbürgerlichen
Mittelschicht haben mir schließlich mein Studium ermöglicht. Geld zum
Reisen ist auch da. Ein Visum kriege ich, im Gegenteil zum Großteil des
Rests der Welt für jedes Land. Sollte es dort zu Unruhen kommen, wird
mich die Deutsche Botschaft schon rechtzeitig nach Hause bringen, weg
von dem ganzen Tumult.
Habe ich dadurch eine Pflicht? Soll ich so
und so viel Prozent meines Einkommens spenden, wie Peter Singer das tut
und vorsieht, weil sich das einwandfrei philosophisch-logisch ableiten
lässt? Oder ist das alles nur diskursiv konstruiert? Ich bin schließlich
frei. Ist Geld also die Lösung oder sollte ich doch lieber gegens
System und den Kapitalismus kämpfen? Vielleicht eine neue Theorie
aufstellen, wie sich dieser nachhaltig beseitigen lässt? Irgendwie
passiert dann ja manchmal doch ganz unerwartet etwas. Eine Revolution
z.B. oder zumindest der Atomausstieg (und dann der Ausstieg aus dem
Ausstieg). Aber ist das dann besser als vorher?
Soll ich mich also praktisch politisch engagieren? Dann kämpfe ich
mit Ginny auf der Straße für die Gleichstellung der Frauen, Veganismus
und gegen den Klimawandel. Nur warum genau dafür und nicht für die
ganzen anderen Sachen? Vielleicht sollte ich mich erstmal um die
Welthungerhilfe für Afrika kümmern.
Oder sind die armen Kinder in
Afrika vielleicht gar nicht so arm, sondern nur anders und brauchen
meine Wertevorstellung und meine "Entwicklungshilfe" gar nicht?
Vielleicht sollte ich erstmal vor der eigenen Haustür kehren. Oder vor
der meines Landes, denn die Mechanismen, anderen Ländern die eigenen
materiellen Mittel zu entziehen, sind irgendwie doch real. Z.B.
Zollbeschränkungen und Agrarsubventionen. Geht es also vornehmlich um
materielle Mittel? Vielleicht nicht nur, aber doch auch.
Und dann
gibt es noch so etwas wie die deutschen Leopard-Panzer in Saudi-Arabien,
die nach Bahrain einrollen um Demonstrationen niederzuschlagen. Was
tun? Noch ein paar hundert Leoparden und Boxer hinterherschicken. Und
dann noch ein paar nach Indonesien.
Aber wo war jetzt nochmal der gemeinsame Feind? Den braucht man
schließlich für die Revolution. Aber Feindbilder formen kommt mir
irgendwie fragwürdig vor. Der Jude wars offensichtlich nicht, Kommunist
oder Kapitalist sind ja irgendwie auch aus der Mode gekommen und 'das
System' ist mir zu abstrakt. Vielleicht ist es dann doch der Chef von
allem. Gibts den? Obama wars nicht, Merkel auch nicht und Josef
Ackermann schafft ja auch nicht alles alleine. Nochmal gründlich
Sozialwissenschaften studieren und 'das System' etwas entwirren, also.
Oder vielleicht ist es doch eher das Bewusstsein und ich sollte
lieber bei mir selbst anfangen. Vielleicht sollte ich meditieren. Muss
ich dafür nach Indien oder geht das auch so? Und bringt das dann nur was
für mich oder auch für andere? Ich glaube, da muss ich nochmal Savinda
fragen, aber für den ist ja sowieso 'alles eins', soweit ich mich
erinnere. Vielleicht hat er ja sogar Recht und diese Erfahrung muss
erstmal gemacht werden. Vielleicht muss sich ja gar nichts ändern und
ich sollte einfach die Schönheit des Lebens noch mehr genießen. Es ist
schon so viel da. Mal wieder mit Freunden feiern gehen oder raus in die
Natur. Mache ich ja auch schon und das ist wirklich nicht schlecht!
Wieso eigentlich immer mehr wollen? Und wieso unterstelle ich die ganze
Zeit, dass irgendetwas schlecht ist? Fernseher ausschalten, Zeitung
abbestellen.
Aber sehen das die ca. 100 Millionen Menschen, die unter der
absoluten Armutsgrenze leben, auch so? Ich habe mal gehört, dass einige
von ihnen glücklicher sind, als die Menschen in Mitteleuropa. Ob das
wohl stimmt? Gibt auf jeden Fall zu denken. Es ist nicht zu bestreiten,
dass es hier viele unglückliche Menschen gibt. Aber das kann keine
Entschuldigung sein. Geld macht ja bekanntlich nicht glücklich, aber
Essen schadet schließlich auch nicht.
Wieso denke ich eigentlich die ganze Zeit über andere nach, ich
wollte doch über mich selbst nachdenken. Unverbesserlicher
Weltverbesserer? Mag sein. Vielleicht ist das ja auch nicht schlecht?
Würde ich also trotz oder gar durch Meditation noch ein bisschen was für
den guten Zweck machen, welcher es denn auch immer sei? Oder einfach
alles annehmen, wie es ist? Vielleicht würde ich konsequenter in der
Mülltrennung, kaufe mir nie ein Auto und verwende all mein Geld auf
Bioprodukte oder gehe Containern, auch wenn das nicht die Welt für alle
rettet. Oder ich frage mal Verwandte, gute Freunde oder sogar den
Unbekannten auf der Straße, wie es ihnen wirklich geht. Und höre einfach
nur zu. Auch nach dem "Mir geht's gut und dir?", "Auch gut.".
"Ein kleiner Schritt für einen einzelnen...". Ist das dann auch ein kleiner Schritt für die Menschheit?
Die perfekte Lösung scheint mir das alles nicht zu sein. Trotzdem habe
ich irgendwie das Gefühl, man sollte nicht 'gar nichts' tun. (Geht das
überhaupt?)
Vielleicht sollten da noch andere Leute etwas mehr
drüber nachdenken. Vielleicht haben die bessere Ideen als ich. Ich
glaube, das braucht der Planet bei Problemen, die den Einzelnen bei
weitem übersteigen. Nur haben die meisten Leute weder Zeit noch Nerven,
über so etwas nachzudenken. Kann man ja auch verstehen, bei den ganzen
Anforderungen, die das Leben sowieso schon an uns stellt. Alltag,
Familie, Leistungszertifikate, der 10-Stunden-Tag am Arbeitsplatz,
Erwartungen der Mitmenschen über gesellschaftskonformes Verhalten...
Aber wenn wir es schaffen, die Freiheit auszuhalten, die wir
eigentlich doch haben, haben wir zumindest die Chance über so etwas
nachzudenken. Vielleicht können wir sogar noch mehr Freiheit schaffen.
Auch für andere. Wodurch? Hmmm,... da gibt's ein paar Sachen zur
Auswahl: Existenzsicherung, Bildung, Respekt, Liebe (letzteres klingt
wohl zu kitschig...). Also doch lieber ein Handfestes Konzept? Da muss
ich wieder ans Grundeinkommen denken... Naja, da kann ich wann anders
nochmal in Ruhe drüber nachdenken.'
Gut, das alles zu formulieren, aber als Nichtphilosoph handele ich lieber spontan aus einem bauchgefühl. Ansonsten würde man ja permanent ein schlechtes Gewissen haben.
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