Freitagabend wurde ich von meinen Freunden Oscar und Ginny zu einem
"kleinen gemütlichen Kochabend" eingeladen. Das ganze gestaltete sich
dann komplizierter als gedacht, weil sich zwischen meinen beiden
Freunden sehr unterschiedliche Vorstellungen davon zeigten, was für so
ein nettes kulinarisches Beisammensein wichtig ist.
Wir trafen uns in Oscars schickem Apartment in Berlin Mitte, das
sehr sauber und sehr ordentlich ist. Ginny begutachtete ein bisschen
abschätzig Oscars Flachbildschirmfernseher und seine Stereoanlage, aus
der Jazztöne klangen, Oscar warf einen leicht irritierten Blick auf
Ginnys neuste Rastelocke am Kopf, die sie pink gefärbt hat – davon
abgesehen saßen wir sehr harmonisch auf Oscars Balkon und genossen die
Aussicht auf das abendlich erleuchtete Brandenburger Tor.
Die Komplikationen fingen an, als wir uns überlegten, was wir essen
wollten. Oscars Menüvorschlag war Entenbrustfilet auf
Rosmarinkartoffeln mit Sahnesauce. Ginny ist Veganerin. Das heißt, sie
isst nichts, für das ein Tier in menschlicher Gefangenschaft leben
musste. Sie erklärte uns, dass sie zwar der Gemeinschaft Willen bereit
sei, für einen Abend Milchprodukte so wie Käse oder Sahne zu verzehren,
sich aber keinenfalls ein Stück totes Tier in den Mund stecken würde.
Ich sah schon, wie Oscar sarkastisch die Augenbrauen hochzog und Ginny
heimlich die Hände zu Fäuste ballte, was die typischen Anzeigen für eine
lange und ausführliche Grundsatzdisskussion über die Vor- und Nachteile
des Fleischverzehrs sind, die sich bis tief in die Nacht ausdehnen
kann. Ginny beginnt dabei üblicherweise mit einer detailgetreuen
Darstellung von Massentierhaltungslagern, in denen ehemalige Schnitzel
und Würstchen vor sich hin leiden bevor sie auf unserem Teller landen,
während Oscar die überlegene Stellung des Menschen über dem Tier
lobpreist, die er hauptsächlich auf den menschlichen Fleischverzehr
zurückführt. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass Ginny und Oscar nach
ihren Diskussionen jedes Mal noch etwas überzeugter von ihrem eigenen
Standpunkt sind und anschließend ein paar Tage nicht mehr miteinander
sprechen.
Zum Glück waren die beiden an diesem Abend zu erschöpft, um
lange Monologe zu halten – Oscar von den Bankgeschäften die mal wieder
äußerst komplex verliefen und Ginny von einer Demonstration bei der sie
Stundenlang brüllend im Regen gestanden hatte. Deshalb einigten wir uns
überraschend schnell auf Lasagne – Käseüberbackene Nudelplättchen in
Tomatensauce und einer Hälfte mit zerbröckeltem Schwein für Oscar
(Ginnys Worte), die andere Hälfte mit gummihafter Masse die nach Fleisch
schmecken soll (Oscars Worte).
Größere Probleme bereitete dann leider der Einkauf der Zutaten, die
wir für unser semi-vegetarisches Gericht benötigten. Zunächst stellte
es sich als unmöglich heraus, einen Laden zu finden, der Ginnys und
Oscars Ansprüche an einen Lebensmittelverkauf vereinen konnte.
Ginny
bestand darauf, dass wir zumindestens Fleisch von Tieren kaufen, die in
ihrem Leben schon mal frische Luft geschnuppert haben – und die gibt es
ihr zufolge nur in sogenannten Bioläden. Dort kommt das, was man kauft,
laut Ginny noch aus einem Stall oder vom Feld und nicht aus
gigantischen Massenfabriken. Dafür sind diese Biomärkte wohl auch teurer
als andere Läden und das passte Oscar natürlich gar nicht. Er fand das
mit dem Fleisch zwar in Ordnung, lehnte es aber regement ab, den
gesamten Einkauf in einem Biomarkt zu tätigen.
"Auf gar keinen Fall. Da zahlen wir doch mindestens das Dreifache.
Und ich hab's gerade wirklich nicht so dicke. Die Bankgeschäfte laufen
überhaupt nicht gut!"
"Man muss eben Prioritäten setzen", keifte Ginny. "Dann verzichte
halt mal morgens auf deinen Starbucks Cappuchino. Das Essen im Biomarkt
ist wenigstens nicht mit Giften vollgepumpt, so wie in allen anderen
Supermärkten."
"Das Essen ist aber nicht meine Priorität", sagte Oscar. "Und von
wegen Giften" - er warf Ginny einen kritischen Blick zu, die auf dem
Balkon stand und an einer Zigarette zog - "deine Gesundheit kann dir ja
auch nicht so wichtig sein, sonst würdest du sicher nicht rauchen."
Es ging noch ein bisschen so weiter und wir beschlossen
letztendlich, die verschiedenen Zutaten an verschiedenen Orten zu
kaufen. Zuerst besuchten wir einen Laden, der Oscar zufolge das beste
Preis-Leistungs Verhältnis hatte.
In dem großen, fensterlosen Raum mit
grellem Licht gab es sehr viel Essen. Das meiste war in Plastiktüten
verpackt, sodass man den Inhalt gar nicht sehen konnte sondern nur ein
Bild davon. Manchmal waren auf den Bildern auch ganze Pflanzen
abgebildet (zum Beispiel Apfelbäume) oder essende Menschen, was mich
sehr verwunderte; ich kann mir nicht vorstellen, dass die wirklich in
den kleinen Verpackungen stecken sollten.
Die Gänge im Laden waren
voller Menschen, die ihre Einkaufswägen bis oben hin beluden. Wir
blieben vor einem Regal mit roten Dosen stehen, auf denen man Bilder von
frischen Tomaten sah. Ginny und Oscar erklärten, dass sich in den Dosen
tatsächlich Tomaten befanden die man draußen auf dem Feld geerntet
hatte, die aber schon klein gehackt und Schalenbeseitigt waren. Die
Tomaten in den Dosen werden nicht schlecht, man kann sie ewig zu Hause
lagern und dann aufbrauchen, wenn man gerade nichts zu Essen da hat. Das
ganze war mir zwar etwas suspekt, aber praktisch ist es schon, das muss
ich sagen.
Oscar ging in die Hocke um die verschiedenen Preisschilder
zu vergleichen und die billigste Konserve herauszusuchen. Ginny griff
nach der Dose, die er auserwählt hatte und las sich mit
zusammengekniffenen Augen die Inhaltsstoffe durch, also das, was man
noch zu den Tomaten dazugemischt hatte. Dachte ich mir doch, dass die
sich nicht auf magische Weise so lange halten.
"Aha, siehst du mal – Zucker", sagte sie abschätzig. "Und versteckte Fette. Die nehmen wir nicht."
Sie griff nach einer anderen Dose, auf der das Bild ein bisschen
schöner aussah. Dafür kostete sie auch zweiundvierzig Cent mehr.
"Da hast du haargenau das gleiche", sagte Oscar in sarkastischem Ton. Sieht nur netter aus."
"Dann müssen wir eben alles bio kaufen", fauchte Ginny.
So ging es noch eine Weile weiter zwischen den beiden. Letztendlich
kauften wir die Billigdosentomaten, Lasagneblätter und Käse, der sogar
bereits gerieben war. Erstaunlich, wie viel Arbeit einem in so einem
Supermarkt schon abgenommen wird. Oscar fand das überhaupt nicht
erstaunlich; er erklärte mir, dass es ganze Mahlzeiten gibt die im Laden
schon so weit fertig sind, dass man sie zu Hause nur noch aufwärmen
muss. Richtige Gerichte wie Lasagne oder Pizza! Oscar zeigte mir ein
paar dieser Fertigmahlzeiten in einer kalten Truhe, in der tatsächlich
kleine Kartons lagen auf denen man ein Stück Lasagne mit frischen
Kräutern und tropfendem Käse sah. "So was kriegt man, wenn man den
kleinen Karton in den Ofen schiebt?" Ich konnte es nicht glauben. "Wieso
nehmen wir nicht einfach das, anstatt alle Zutaten einzeln zu kaufen
und mühsam vorzubereiten?"
"So toll schmecken tut das nicht", gab Oscar zu.
"Und außerdem ist es wahnsinnig ungesund", ergänzte Ginny.
Wir mussten Tomaten, Käse und Nudelblätter auf ein langes Band
legen, hinter dem eine Frau saß die alles über eine kleine Maschine zog.
Dabei machte die Maschine ein schrilles und unangenehmes Geräusch, das
aber niemanden zu stören schien. Ich begrüßte die Frau und sie nickte
mir ein bisschen genervt zu. Es war hier wohl nicht üblich, sich zu
grüßen. Vielleicht war sie auch überfordert, weil sie gleichzeitig in
wahnsinniger Geschwindigkeit unsere Sachen über das Band schob. Ich
hätte ihr gerne gesagt, dass sie sich nicht so zu beeilen brauchte, wir
hatten ja alle Zeit der Welt, aber da brummte sie schon eine Zahl vor
sich hin und Oscar steckte ihr einen Geldschein entgegen.
"Wir teilen
das später durch drei", sagte er zu uns und wir zogen weiter.
Da Ginny
gerne Pinienkerne für die Lasagne wollte aber es in dem billigen Markt
keine gab, gingen wir anschließend in einen anderen großen Laden, der
dem ersten ähnlich war – nur dass hier alles etwas schöner aussah. Das
Deckenlicht war warm, Obst und Gemüse glänzten frisch und die Kassen
waren fast leer.
Die Menschen wirkten ein bisschen entspannter und ihre
Wägen waren nicht ganz so vollgestopft.
Der Laden war noch größer als
der erste und es gab noch viel mehr Auswahl. Ich glaube, man konnte hier
fast jede Art von Nahrung erwerben die irgendwo auf der Welt wächst
oder hergestellt wird. Selbst Himbeeren und Annanas, dabei war es
tiefster Winter! Für jedes Lebensmittel gab es mindestens sechs
verschiedene Variationen mit unterschiedlichen Preisen und
unterschiedlichen Verpackungen. Es gab bestimmt zehn verschiedene Arten
von Tomatenkonserven. Ginny und Oscar schienen den Laden beide nicht so
zu mögen.
"Alles ist doppelt so teuer, nur weil es nett hergerichtet ist", brummte Oscar.
Ginny stimmte ihm ausnahmsweise zu. "Wenn man schon bereit ist,
mehr Geld für Essen auszugeben, dann sollte man ja wohl das kaufen, was
unter guten Bedingungen hergestellt wurde und nicht mit Giften
vollgepumpt ist. Nicht das, was einfach nur schön aussieht."
"Tja", sagte Oscar, "so funktioniert der Mensch eben. Zuerst
entscheidet der Preis, dann das persönliche Einkaufserlebnis. Wer ist
schon bereit, mehr Geld zu zahlen, wenn er selbst nichts davon hat?"
"Man hat ja wohl sehr viel davon, Gemüse ohne Gift zu essen!"
Oscar verdrehte genervt die Augen. "Es ist aber anstrengend,
dauernd darüber nachzudenken wo welche Gifte versteckt sind und was
ungesund ist und was nicht. In der Zeit beschäftige ich mich lieber mit
wichtigeren Dingen."
"Aber man sollte ja wohl wenigstens darüber nachdenken, ob für das,
was man kauft, jemand leiden musste. Wenn Tiere gequält werden oder
Menschen ausgebeutet", Ginny zog das Wort bedeutsam in die Länge, sie
benutzt es sehr häufig, "dann kann man doch ruhig mal vierzig Cent mehr
bezahlen, um so etwas nicht zu unterstützen."
"So denkt der Mensch aber nicht. Dinge, die nicht kausal zu
erkennen sind, lösen keine emotionale Wirkung aus, deshalb wird ihnen
auch keine primäre Wichtigkeit zugemessen." Oscar sah uns mit dem
gleichen Blick an, mit dem er uns manchmal etwas über das Bankwesen
erklärt. "Wenn wir etwas kaufen, dann sehen wir ja nicht, welche
Auswirkungen das für irgendwelche Bauern oder Tiere hat. Deshalb ist es
den Leuten auch herzlich egal." Er warf Ginny ein triumphierendes
Lächeln zu.
"Sehr traurig", sagte Ginny.
"Tja, so ist es aber. Deshalb macht es auch keinen Sinn, das Wesen
des Menschen verändern zu wollen, so wie ihr es mit euren nerventötenden
Demonstrationen und diesem ganzen linken Zeugs versucht. Man sollte
lieber selbst schauen, wie man am besten zurecht kommt."
Ginny schüttelte heftig den Kopf, sodass ihre Rasterlocke hin und
her flog. "Das sehe ich aber ganz anders. Warum gibt es denn plötzlich
so eine große Nachfrage an Bioprodukten? Wieso ändern sich überhaupt
Dinge in der Welt?..." (Und so weiter).
Es war also doch nicht ganz möglich, dem alltbekannten
Streitgespräch zu entkommen, das bei Ginny und Oscar irgendwann immer in
einer Grunddebatte über Menschenbilder und Moral endete. Ganz egal,
worüber die beiden redeten. Selbst wenn es um so profane Dinge wie das
Wetter oder Sockenkauf ging.
Ich war ein bisschen erleichtert, als wir den letzten Einkaufsort
betraten. Ein kleines Lädchen, in dem es nach Holz und Seife roch. Es
gab weit weniger Auswahl als in den Läden davor, nicht alles steckte in
Papier und Plastikfolie und es gab nur eine einzige Kasse, hinter der
ein Mann mit Schürze stand. Er begrüßte uns sogar beim Hereinkommen.
Oscar suchte im Kühlregal nach seinem Fleisch, Ginny stand daneben und
murmelte ein paar Kommentare vor sich hin. "Der gute Geschmack von
Fleisch ist wirklich kein hinreichendes Argument für das unendliche Leid
der Tiere, das wir dafür in Kauf nehmen."
Oscar nahm genervt die Hackfleischpackung in die Hand und spielte
damit vor Ginnys Nase herum, dabei stieß er ein leises Quiken aus. "Guck
mal, ich war mal ein Schweinchen, ich wurde geschlachtet. Und jetzt
lande ich gleich auf Oscars Teller. Muahahaha." Er lachte.
Ginny kaufte ihren Fleischersatz, der sogar einen Namen hatte: Hackepeter.
Dann liefen wir endlich zurück zu Oscars Wohnung und begannen das gemütliche Beisammensein.
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