"Concious Collection". Das strahlende Lächeln der schönen und sehr
dünnen Frau im Flatterkleid blickt auf mich herab und erhellt den Laden.
Die Suche nach einer neuen Hose hat sich schon jetzt zur kleinen
Exkursion ausgeweitet. Herausfordernd ist nicht nur das Durchforsten des
Dickichts aus Kleidermassen, von gestreiften Strumpfhosen über
Schwangerschaftspullover bis zur Spitzenunterwäsche.
Nein, als ich dann
endlich vor der Hosenabteilung stehe, werde ich mit der nächsten
Schwerigkeit konfrontiert: eine Auswahl an englischsprachigen Begriffen
von denen für mich im Zusammenang mit Hosen keiner einen Sinn ergibt:
Steingewaschen, super mager oder Freundesstil. Zum Glück klärt mich eine
geduldige Frau, die gelangweilt vor einem Haufen mit zerknüllten Jeans
steht die sie mechanisch zusammen faltet, über die Bedeutung von
stonewashed Jeans und Hosenschnitten wie dem boyfriend- und super-skinny
style auf. Während ich mich noch über die Fremdsprachenfreundlichkeit
des Ladens wunderte, entdecke ich das Plakat.
Concious Collection. Nachhaltigere Kleidung steht darunter. Was hat
das schon wieder zu bedeuten, frage ich mich. Die geduldige Frau mit
dem gelangweilten Gesicht vor dem Hosenberg sieht aus, als könnte sie
sich über etwas Ablenkung freuen. Kein Wunder, angesichts ihrer
Sisyphosarbeit, denn ständig schlendern Leute vorbei und nehmen die
Hosen, die sie sorgsam zusammen gefaltet hat, wieder auseinander, um sie
gleich darauf zerküllt zurück zu werfen. Ich beobachte den eigenartigen
Kreislauf eine Weile, dann spreche ich die Frau an und frage nach der
Bedeutung des Werbeplakats.
Diesmal schaut die Frau mich etwas erschrocken an. "Was Concious
Collection heißt? Öhm, dafür bin ich eigentlich nicht zuständig. Ich
leite hier nur die Jeansabteilung.”
"Aber wissen Sie denn gar nicht, was das Plakat zu bedeuten hat?”
Seltsam, finde ich, wo sie doch sogar in dem Laden arbeitet. Wenn sie
die Aufschrift schon nicht versteht, für wen hängt sie dann da?
Die Frau schüttelt den Kopf, verspricht aber, ihre Kollegin zu
fragen. Sie wirkt tatsächlich erleichtert, ihre Sisyphosarbeit kurz
unterbrechen zu können. Gleich darauf steht eine Frau in schwarzem Anzug
vor mir, die genauso strahlend lächelt wie die Dame auf dem Plakat.
"Sie interessieren sich für die Hintergründe der Concious Collection und unsere Sustainability Politik?”
"Wie bitte?”, frage ich irritiert.
"Unsere Nachhaltigkeitspolitik”, erklärt die Frau mit begeisterter
Stimme. "Soziale und ökologische Nachhaltigkeit spielt für unser
Unternehmen jetzt eine ganz wichtige Rolle. Ich leite das Sustainability
Team in unserer Filiale.” Mit breitem Lächeln entblößt sie ihre
glänzend weißen Zähne. "Wir haben eine Vision, wissen Sie. People,
planet and profit. Wir glauben, dass der Schlüssel zum langfristigen
Erfolg darin liegt, sich der engen Verknüpfung dieser drei Elemente
bewusst zu sein.”
Ihre Worte erinnern mich an Dinge, die mein Freund Savinda manchmal
sagt, wenn er vom Universum und spiritueller Erleichtung spricht. Ich
schaute mich etwas zweifelnd in dem Laden um. Irgendwie passen ihre
Worte besser in Savindas Meditationszentrum als in den riesigen,
klimatisierten Raum mit den vielen überfüllten Tischen und Regalen
voller Kleidung, durch den wummernde Technomusik schallt.
"Ich weiß”, sagt die Frau, die meinen Blick wohl aufgefangen hat,
"das klingt für viele zunächst etwas überraschend, unser Haus hatte da
ja auf Grund gewisser Kinderarbeitsskandale...”
"Kinderarbeit?”
"Tja, Sie wissen ja, in vielen Ländern gibt es andere Standards, was
die Arbeitsbedingungen angeht. Bangladesch, Indonesien... da ist es
leider durchaus üblich, dass Kinder in Fabriken arbeiten, statt in die
Schule zu gehen.” Bedauernd zieht die Frau ihre Augenbrauen hoch, die
mit einem dünnen Strich untermalt sind.
"Ach”, sage ich überrascht. "Kommen die Leute, die bei Ihnen
arbeiten, denn alle aus dem Ausland?” Von den VerkäuferInnen im Laden
die ich bisher gesehen habe wirkten die meisten eher wenig
fremdländisch.
"Na ja, die Kleidung wird ja im Ausland hergestellt. Unsere Liferanten kommen natürlich aus dem Ausland.”
"Wirklich? Und dann werden die ganzen Klamotten extra von Bangladesch oder Indonesien nach Berlin gefahren? Warum das denn?”
"Nun ja, die Arbeitsbedingungen im Ausland unterscheiden sich eben doch
von denen hier bei uns, in ihrer... ja... Effizienz für unser
Unternehmen.” Die Frau räuspert sich und streicht ihre Bluse glatt. "Wir
müssen natürlich auch wirtschaftlich denken und wettbewerbsfähig
bleiben. Wir können nicht plötzlich allen das doppelte an Löhnen zahlen,
verstehen Sie? Und das wäre die Konsequenz, wenn wir nur noch
NäherInnen aus Berlin anstellen.” Sie wirft mir einen beinahe
vorwufsvollen Blick zu, so als wäre ich an dieser Misere Schuld. "Dann
scheiden wir eben vom Markt aus, und andere Kleidungsmarken führen ihre
Ausbeutungspolitik weiter. Das ist sicher auch keine nachhaltige
Lösung.”
"Ausbeutungspolitik?”, frage ich erschrocken.
"Sie
wissen schon... das geht ja ständig durch die Medien. Billiglöhne die
nicht für die Existenz der Arbeiter ausreichen, Arbeitsschichten von
sechzehn Stunden am Stück, Gewalt am Arbeitsplatz, Berührungen mit
giftigen Chemikalien...”
Ich schaue die Frau entsetzt an. "Das alles passiert mit den Leuten, die die Hosen hier nähen?”
Ungläbig werfe ich einen Blick an der strahlenden Frau vorbei durch
den Laden. Er ist gefüllt von Leuten, die sich Kleidung über die Arme
geworfen haben und fröhlich von einem Regal zum nächsten schlendern. Die
Technomusik verbreitet eine locker-leichte Atmosphäre, die zu der
hochmodernen Einrichtung mit riesigen Spiegeln und glänzenden Regalen
passt. Ob die Leute alle wissen, dass die Klamotten, die sie
herumtragen, von Menschen gemacht sind die dafür ausgebeutet wurden?
"Sehen Sie denn keine Nachrichten?”, fragt die Frau verwundert. "Das
ist doch gerade sehr aktuell. Die Brände in Textilfirmen, die gerade
durch die Medien gingen...”
"Brände?” Ich erinnere mich vage an ein
paar Bilder von dunklen, ausgebrannten Räumen, die ich neulich in den
Nachrichten gesehen habe. Ich hatte ja keine Ahnung dass die aus den
Fabriken kamen, in denen die Kleidung hier hergestellt wird. "Wie
furchtbar. Gab es da nicht auch Tote und Verletzte?”
,Leider ja.”
Die Frau nickt bedauernd und beißt sich auf die Unterlippe. "Über
hundert Arbeiterinnen und Arbeiter sind gestorben.”
"Wie schrecklich! Warum denn?”
"In den Fabriken gab es keine Notausgänge.” Mittlerweile hat das
strahlende Lächeln der Frau nachgelassen. Stattdessen sieht sie mich mit
ernster Mine an. "Das liegt an den Lieferanten im Ausland, auf
Sicherheits- und Gesundheitsvorkehrungen wird da leider kein großer Wert
gelegt.”
"Aber wenn Sie das wissen, wieso arbeiten Sie dann mit
diesen Leuten zusammen? Gibt es denn keine Lieferanten, die anständig
mit ihren ArbeiterInnen umgehen?”
Die Frau stößt einen Seufzer aus. "So einfach ist das nicht. Man
kann ja nicht immer kontrollieren, was die Lieferanten machen. Sie haben
keine Ahnung, wie komplex das alles ist, in Asien und Afrika und
Osteuropa... Es gibt auch die Lieferanten von Lieferanten und
Sublieferanten... Sie glauben gar nicht, wie viel Zeit und Geld es
kostet, alle zu überprüfen. Und leider”, sie hält kurz inne, sieht sich
für einen Moment um und senkt die Stimme: "Leider steht unser
Unternehmen auch nicht an allererster Stelle für nachhaltige Kleidung.
Wir zeichnen uns für Mode zum besten Preis aus. Das ist auch unseren
KundInnen wichtiger, als dass es den ArbeiterInnen irgendwo im fernen
Osten gut geht.” Sie zuckt die Schultern.
"Achso. Dann werden die Leute so schlecht bezahlt, weil die Klamotten, die sie nähen, so billig sind?”
"Das hängt nicht immer unbedingt zusammen. Es gibt auch teure
Luxusmode, die unter schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt wurde”,
klärt die Frau mich auf. "Von dem Preis für ein T-Shirt geht sowieso
höchstens 20 Prozent an die Löhne für NäherInnen. Aber natürlich gibt es
auch Marken, die sich extra durch ihre Nachaltigkeit auszeichnen. Da
müssen Sie dann aber auch einiges mehr für bezahlen. Dass man für 5 Euro
wahrscheinlich kein T-Shirt bekommt, das besonders fair hergestellt
wurde, das dürfte wohl jedem klar sein.” Sie macht eine kurze Pause und
ich starre auf die dunkelblaue Hose in meiner Hand. Von wem die wohl
genäht wurde? Etwa auch von jemandem, der studenlang in einer dunklen
Fabrik ohne Notausgänge arbeiten musste? Wie furchtbar.
"Aber, Dinge verbessern sich”, sagte die Frau, die meinen unwohlen
Blick wohl bemerkt hat. Sie setzt ein nachsichtiges Lächeln auf. "Es ist
ein langer und schwieriger Prozess zu mehr Nachhaltigkeit. Aber wir
übernehmen jetzt Verantwortung. Bei uns gibt es jetzt einen Code of
Conduct, wir kommunizieren mit externen Stakeholdern und überprüfen alle
concious actions.” Ihre Stimmlage schnellt wieder nach oben. Stolz
richtet sie sich auf.
Da ich nicht ganz verstehe, was ihre Worte
konkret bedeuten, halte ich noch mal auf die Hose in meiner Hand hoch.
"Heißt das, dass diese Jeans jetzt nicht mehr von ausgebeuteten Menschen
gemacht wurde?”
"Na ja, es wäre natürlich falsch zu behaupten, dass wir garantieren
können dass es zu keinen Verletzungen unseres Verhaltenskodex kommt”,
meint die Frau vage. "Ich habe Ihnen ja erklärt, wie schwierig und wie
zeitaufwendig und kostenspielig die ganze Überprüfungsangelegenheit ist.
Aber wie all unsere Aktivitäten ist auch unser
Nachhaltigkeitsengagement vom Streben nach ständiger Verbesserung
geprägt. Lesen Sie sich doch unseren Bericht mit den Concious Actions
2012 durch, da finden Sie alle Highlights rund um das Thema
Nachhaltigkeit.” Jetzt strahlt sie wieder wie die Frau auf dem Plakat
über uns.
Ich bedanke mich für die freundliche Auskunft und lege unauffällig
die Hose in meiner Hand zurück auf den großen Haufen. Beim Hinausgehen
sehe ich einen Tisch in der Ecke, auf dem groß "Nachhaltigkeit zu fairem
Preis” steht. Scheinbar ist das die faire Kleidung, die dafür ein
bisschen teurer ist. Der Tisch ist menschenleer. Ein Stück weiter stauen
sich die Leute vor einem Regal mit der Aufschrift "Super-Sale.”
Hastig
verlasse ich den Laden.
Gratulation zu Weitwinkel! Die Themen sind gut ausgesucht, der Inhalt und Aufbau ist überzeugend und das Lesen macht einfach Spaß, macht aber auch nachdenklich. Eine schöne Stimulanz während der Mittagspause im Büro.
AntwortenLöschenDanke!